Schönheit ist keine Eigenschaft, die den Dingen an ihnen selbst zukommt; sie existiert lediglich im Geiste dessen, der die Dinge betrachtet.

David Hume: Vom schwachen Trost der Philosophie. Essays, Göttingen: Steidl, 1990, S. 78

 

Über wahre Schönheit und ob wir nicht unsere Sichtweise ändern sollten

Schöne Dinge lösen in jedem Menschen Glücksgefühle aus. Das liegt in der Natur der Sache und kann, wenn man aufmerksam ist, auch gut beobachtet werden. „Mama, schau, der schöne Schmetterling dort!“ oder „Wie wunderschön doch dieses Konzert war!“. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns von materiellen oder von immateriellen Dingen verzaubern lassen. Es ist die Schönheit an sich, die uns in ihren Bann zieht, die es ausmacht, dass wir uns gut fühlen.

Verständlicherweise empfindet jedoch nicht jeder Mensch das Gleiche als schön. Nur so als Gedankenanregung ein Dialog zwischen meinem Bruder und mir, wie diese oftmals zwischen uns vorkommen.

Ich:                 „Johannes, schalt doch endlich diese schreckliche Musik aus!“

Johannes:        „Was hast du eigentlich? Die ist doch wunderschön!“

Ich:                 „Das glaubst du wohl selber nicht!“

Was kann also als „schön“ bezeichnet werden? Sind es schöne Dinge, die uns erfreuen oder empfinden wir Dinge als schön, weil sie uns erfreuen? Fragen, die die Menschheit nicht erst seit heute beschäftigen.

 

„Alles hat seine ureigene Schönheit, aber nicht jeder bemerkt sie.“ – Konfuzius

Bereits Konfuzius hatte zu diesem Thema eine eindeutige Meinung. Demnach ist Schönheit in allem und in jedem zu finden, wenn man sie nur sehen will.

Nehmen wir als Beispiel das Musical „Die Schöne und das Biest“ her. Als Protagonisten finden sich hier die wunderschöne Belle, die in einem verwunschenen Schloss auf ein scheußliches Biest trifft. Ihre Furcht ist groß, doch letztendlich erkennt Belle, dass das Biest ein gutes Herz besitzt und gesteht ihm ihre Liebe. In diesem Moment verwandelt sich das Biest in den jungen Prinzen zurück.

Und an dieser Stelle frage ich mich: „Geht es uns allen nicht ein wenig wie Belle?“  Weicht etwas oder jemand von einer gewissen Schönheitsvorstellung ab, ist es schon klar und auch in gewisser Weise verständlich – und da nehme ich mich keinesfalls aus -, dass wir nicht sofort voll Freude jauchzen.

Ein Gedankenspiel: Ich gehe in der Wiener Innenstadt spazieren und treffe vor dem Stephansdom auf einen Bettler. Es ist kalt und der Bettler kauert am Boden, eingehüllt in eine alte, löchrige Decke. Er streckt mir eine Dose entgegen und bittet um etwas Kleingeld. Was mache ich? Ignoriere ich den Bettler und gehe einfach weiter? Immerhin ist er nicht sehr ansehnlich und wahrscheinlich ist er nicht ganz unschuldig in seine missliche Lage gekommen. Oder versuche ich hinter sein Äußeres zu blicken und vielleicht eine innere Schönheit zu sehen? Eine Schönheit, die in mir, wenn schon nicht Freude, dann doch Verständnis und Mitleid weckt? Belle und auch Konfuzius wären definitiv stehen geblieben und hätten nach dieser ureigenen Schönheit gesucht. Wäre es nicht an der Zeit für uns alle, ein wenig so wie Belle und Konfuzius zu denken und zu handeln?

„Was aber Schönheit sei, daß weiß ich nit.“ – Albrecht Dürer

Gibt es eine absolute Schönheit? Gibt es etwas, das von jedem einzelnen Menschen auf dieser Welt als schön bezeichnet wird? Albrecht Dürer gab offen und ehrlich zu, nicht zu wissen, was Schönheit wirklich sei.

Eine Wanderung in einer verschneiten Berglandschaft, wenn die Sonne die Schneekristalle zum Glitzern bringt und die Ruhe mich dazu zwingt, mich auf mich selbst zu konzentrieren – das ist für mich Schönheit. Ob das jedoch der Bergbauer auch so sieht, der jeden Tag bei Kälte und Schnee im Freien seine Arbeit verrichten muss, da bin ich mir nicht so sicher. Schönheit liegt schließlich im Auge des Betrachters, so bringt es ein altes Sprichwort auf den Punkt.

Dass sich die Vorstellung von Schönheit im Laufe der Zeit wandelt, macht eine Definition auch nicht unbedingt einfacher. Die 25.000 Jahre alte Kalksteinfigur der Venus von Willendorf soll dem damaligen Schönheitsideal entsprochen haben. Demnach entsprachen voluminöse Bäuche und Hinterteile, große hängende Brüste und dicke Beine der Vorstellung nach der Idealfigur. Wenn man heute hingegen für nur zehn Minuten das Internet durchforstet, wird schnell klar, dass sich diese Anschauungen massiv gewandelt haben. Eine Venus von Willendorf würde es in der heutigen Zeit niemals in die Castingrunde von GNTM schaffen.

Schönheit ist demnach keine definierte, fixe Größe, die sich konstant über die Endlichkeit hinaus hält. Das Schönheitsideal ändert sich im Laufe der Zeit und was oder wer nun wirklich schön ist, wird von jedem anders empfunden.

„Es ist gar nicht so leicht, so schön zu sein, wie man aussieht.“ – Sharon Stone

Eine interessante Aussage von Sharon Stone, dem Sexsymbol der 90er Jahre. Denke ich an diese Schauspielerin, kommen mir Worte wie atemberaubend, blond, sexy, erfolgreich oder selbstbewusst in den Sinn. Wer könnte diese Schauspielerin nicht als schön bezeichnen – keiner, würde ich meinen. Und doch irre ich mich in diesem Punkt gewaltig. Sie selbst äußert Kritik an ihrer Schönheit, nicht an ihrem Aussehen, jedoch deutete sie mit ihrer Aussage Bedenken hinsichtlich der inneren Schönheit an.

„Nur die inneren Werte zählen“, so zumindest eine weit verbreitete Denke der Menschheit. Beruhigt durch diese Einstellung setzen wir uns auf die Couch und verfolgen gespannt America’s Got Talent, wo natürlich, oh Wunder, die hübsche Brünette mit der rauchigen Stimme die Talentshow gewinnt. Studien beweisen, dass es für schöne Menschen leichter ist, die Karriereleiter nach oben zu klettern. Andere Studien zeigen auf, dass Lehrer schöne Kinder bevorzugen. Lässt man diese Beispiele sacken, meldet sich, wenn auch leise, unsere innere Stimme, die uns vor der eigenen Scheinheiligkeit mahnt. Es sind eben doch nicht nur die inneren Werte, die für uns zählen – und das nicht erst seit gestern. Wenn ich zurückdenke, als mir meine Großmutter das Märchen von Schneewittchen vorgelesen hat, hing ich wie gebannt an ihren Lippen. In meinem Kopfkino konnte ich sie deutlich vor mir sehen, die Prinzessin – die Haut so weiß wie Schnee, die Lippen rot wie Blut und das Haar schwarz wie Ebenholz. Wunderschön war sie, meine Prinzessin. Dabei hat es mich herzlich wenig interessiert, ob sie auch klug oder hilfsbereit war. Hauptsache, sie war schön! Wie es bei diesem Märchen wohl den anderen Leserinnen und Lesern oder den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern geht? Ob irgendjemand von ihnen einen Gedanken daran verschwendet, ob Schneewittchen tatsächlich so schön ist, wie sie aussieht?

„Alles Schöne der Alten ist bloß charakteristisch, und bloß aus dieser Eigentümlichkeit entsteht die Schönheit.“ – Johann Wolfgang von Goethe

Ein weiterer Punkt, der für meine Gedankengänge rund um Schönheit von Bedeutung ist, ist das Zusammenspiel zwischen Schönheit und Alter. Denken wir beispielsweise an die Fotografie eines alten Mannes, dessen Gesicht vom Leben gezeichnet ist. Weißes schütteres Haar bedeckt spärlich den Kopf, die Haut ist ledrig, tiefe Falten prägen sein Gesicht.

Würde ein Jugendlicher diesen Mann auf dem Foto als schön bezeichnen? Wohl eher nicht. Doch Falten an sich sind nicht wirklich hässlich. Warum also empfinden junge Menschen das Alter als „nicht schön“? Vielleicht muss man hier näher hinschauen, um die Beweggründe zu verstehen. Falten erinnern an das Vergängliche, rufen schonungslos ins Gedächtnis, dass auch das eigene Leben endlich ist. Und wer will schon gerne daran erinnert werden, vor allem dann, wenn man in der Jugend nur so vor Leben strotzt?

Was würde hingegen eine, dem Mann auf dem Foto nahestehende Person empfinden, wenn sie dieses Foto betrachtet? Nehmen wir an, seine Tochter betrachtet das Bild: Weißes schütteres Haar bedeckt spärlich den Kopf, die Haut ist ledrig, tiefe Falten prägen sein Gesicht.  Möglicherweise erinnern die Falten rund um seine Augen an die vielen Stunden, in denen sie gemeinsam gelacht haben, seine ledrige Haut an die gemeinsamen Urlaube, die sie im Sommer am Meer verbracht haben. Ich bin mir sicher, dass die Tochter das Foto aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet und die Schönheit ihres Vaters im Vordergrund steht.

„Was die Schönheit ist, weiß nur Gott.“ – Albrecht Dürer

Keinesfalls will ich Gott Allwissenheit absprechen oder uns Menschen auf die gleiche Stufe wie Gott stellen. Dennoch zeigt uns dieses Sammelsurium an Gedanken, dass jedes Individuum für sich eine eigene Vorstellung von Schönheit hat. Es gibt keine absolute Schönheit als fixe Größe, die für jedermann gleiche Bedeutung hat. Es sind in der Tat jene Dinge, die uns erfreuen, die eine positive Stimmung hinterlassen und somit schlussendlich als „schön“ bezeichnet werden.

Doch eines will ich uns allen auf unsere „Reise Leben“ mitgeben: In unserem kleinen, persönlichen Universum müssen wir unseren Blick bewusst fokussieren und versuchen, in allen Dingen und Personen das Schöne wahrzunehmen. Schönheit existiert im Geiste des Betrachters – also betrachten wir doch unsere Welt als eine schöne!